EuGH: Streaming Videos anschauen ist illegal. Muss ich jetzt Angst vor einer Abmahnung haben?

Es hat eingeschlagen wie eine Bombe: Der EuGH hat nun entschieden, dass nicht nur das Streamen selbst, sondern auch das Betrachten eines Streams illegal ist.

Bisherige Rechtslage zum Streaming

Keine Frage war schon bisher, dass es illegal ist, Videos ohne Zustimmung des Rechtsinhabers per Stream zur öffentlichen Wiedergabe bereitzustellen.

Bisher waren die Juristen allerdings davon ausgegangen, dass das reine Betrachten eines gestreamten Videos keine Urheberrechtsverletzung ist. Das beruhte auf der Annahme, dass der User den Film nicht kopiert und auch nicht öffentlich wiedergibt. Zwei Ausnahmen vom Urheberrechtsschutz werden in diesem Rahmen immer wieder genannt: § 44a UrhG, der vorübergehende Vervielfältigungen regelt, und § 53 Abs. 1 UrhG.

Nach § 44a UrhG sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen zulässig, die

„flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,

1. eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder

2. eine rechtmäßige Nutzung

eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.“

Bisher wurde angenommen, dass die Kopien, die während des Betrachtens des Streams im Cache des eigenen Computers entstehen, deswegen urheberrechtlich ohne Belang sind. Selbst wenn dies nicht so wäre, könne man sich aber auf das Recht zur Privatkopie stützen. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG sind nämlich zulässig

„einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.“

Es kommt daher auf die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit der Vorlage an – meist wurde bisher davon ausgegangen, dass Dienste wie Youtube oder Vimeo nicht offensichtlich rechtswidrig sind, anders aber die Portale, die Filme kostenlos anbieten, die sich aktuell in der kommerziellen Auswertungskaskade befinden.

Die Entscheidung des EuGH

Nun stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 26.05.2017 klar, dass die Vervielfältigungen, die beim Streaming auf dem eigenen Gerät entstehen, der Kontrolle des Urheberrechts voll unterliegen.

In seiner Pressemeldung Nr. 40/17 vom 26.04.2017 führt der EuGH aus:

„Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Handlungen der vorübergehenden Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf diesem multimedialen Medienabspieler durch Streaming von der Website eines Dritten, auf der dieses Werk ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers angeboten wird, nicht vom Vervielfältigungsrecht ausgenommen sind.“

Der EuGH stellt sich damit klar gegen die bisherige Annahme (s. o.), dass die Speicherung im Cache urheberrechtlich frei wäre.

Genauer sagt er:

„Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof insbesondere unter Berücksichtigung des Inhalts der Werbung für den multimedialen Medienabspieler und des Umstands, dass der Hauptanreiz des Medienabspielers in der Vorinstallation der Add-ons liegt, der Ansicht, das der Erwerber eines solchen Medienabspielers sich freiwillig und in Kenntnis der Sachlage zu einem kostenlosen und nicht zugelassenen Angebot geschützter Werke Zugang verschafft.

Darüber hinaus können die Handlungen der vorübergehenden Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke auf dem fraglichen multimedialen Medienabspieler die normale Verwertung solcher Werke beeinträchtigen und die berechtigten Interessen der Urheberrechtsinhaber ungebührlich verletzen, da sie normalerweise eine Verringerung der rechtmäßigen Transaktionen im Zusammenhang mit diesen geschützten Werken zur Folge haben.“

Aus der Aussage, der Erwerber verschaffe sich den Zugang „in Kenntnis der Sachlage zu einem kostenlosen und nicht zugelassenen Angebot“, d. h. für ihn sei die Rechtswidrigkeit des Angebots offensichtlich, lässt sich darüber hinaus auch entnehmen, dass auch die Inanspruchnahme des (deutschen) Rechts zur Privatkopie in einer derartigen Konstellation nicht mehr möglich sein wird.

Bleibt das Streaming-Anschauen in Deutschland erlaubt?

Es kommt drauf an. Wenn man Angebote wahrnimmt, die nicht offensichtlich rechtswidriges Material bereitstellen, dann ja. Denn trotz der urheberrechtlichen Relevanz der Kopien, die das Streaming erzeugt, kann sich der Nutzer dann auf das Recht zur Privatkopie aus § 53 UrhG berufen (s. o.).

Kein Schlupfloch lässt der EuGH jetzt noch Nutzern, soweit es um die Nutzung von Portalen geht, die vor allem die aktuellen  Blockbuster, beliebte Serien und andere kommerzielle Filme kostenlos zum Betrachten per Streaming bereitstellen; hierunter könnten kinox.to, movie4k.to und ähnliche Angebote fallen.

Kommt jetzt eine Abmahnwelle?

Abmahnungen werden die Nutzer höchstwahrscheinlich dennoch nicht bekommen. Denn sie können kaum ermittelt werden. Dies könnte nur über die IP-Adresse des Anschlussinhabers erfolgen. Doch nur dem Betreiber eines Streaming-Dienstes sind die IP-Adressen der Nutzer bekannt, die einen Stream angesehen haben. Oft speichern die Streamingdienste die IP-Adressen jedoch nicht.

Selbst wenn es der Polizei gelänge, die Server des Dienstes durch eine Razzia sicherzustellen, ist es daher unwahrscheinlich, dass die Anschlussdaten noch ermittelt werden können. Den Fokus werden die Ermittler im Rahmen der Strafverfolgung ohnehin auf diejenigen legen, die Filme hochladen oder dem Streamingportal zur Verfügung stellen.

Wenig wahrscheinlich ist eine Durchsuchung mit Sicherstellung von IP-Daten aufgrund des Antrages eines Rechtsinhabers. Die Strafverfolgungsbehörden werden diesbezüglich regelmäßig nicht mehr tätig, weil hierzu das Auskunftsverfahren nach dem Urheberrechtsgesetz gedacht ist. Dieses setzt aber die Bekanntheit der IP-Adressen beim Rechtsinhaber schon voraus.

Die IP-Adressen der Nutzer ändern sich im übrigen meist täglich und werden in der Regel nach dem Verbindungsende oder nach wenigen Tagen gelöscht.

Dass es im Rahmen der Redtube-Abmahnwelle vor wenigen Jahren doch möglich wurde, Abmahnungen an Nutzer zu senden, lag an dem Zusammentreffen mehrerer Umstände: Zum einen war vermutlich eine Falle gestellt worden, weil die IP-Nummer des Nutzers durch einen Zwischenlink erfasst wurde, und zum anderen an der irrtümlichen Freigabe von IP-Nummern durch das Landgericht Köln, dem zunächst vorgespiegelt wurde, es handele sich um einen ähnlichen Fall wie beim Filesharing.

Was droht bei einer Abmahnung?

Anwälte würden in einem Streaming-Einzelfall höchstwahrscheinlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung fordern, außerdem die Erstattung von Anwaltskosten und eine Schadensersatzzahlung. Anders als in Filesharing-Fällen könnte letztere nur den Preis eines einmaligen Betrachtens des Films ausmachen, teils also nur Beträge um zehn Euro. Anwaltskosten können bei Ansprüchen gegen Privatpersonen nur aus einem Streitwert von 1000 Euro gefordert werden, das sind ca. 160 Euro.